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37. Ringreiten und fliegende Fische

Mathilde schaute aus dem Fenster und dachte an Frau Klemmer, die ihr vor einer Stunde das Übungsbuch für Mathematik gegeben hatte. Sie war freundlich und hatte ihr sogar viel Erfolg gewünscht.

„Eigentlich eine nette Frau“, überlegte Mathilde. Sie suchte im Notizbuch nach ihrer Beschreibung von „fair“.

fair – gerecht sein, nicht die eigene schlechte Laune an anderen auslassen, keine Vorurteile haben, sich entschuldigen, wenn man einen Fehler gemacht hat

Ja, das zu schnelle Urteil über Frau Klemmer musste sie unbedingt korrigieren. Aber wie sollte sie es notieren?

bienchen lesezeichen 50Mathilde schrieb: „Ab und an wissen wir zu wenig über jemanden. Je mehr Informationen wir haben, umso wahrscheinlicher ist, dass wir positiver urteilen.“

Hinter ihrer Beschreibung von „fair“ notierte sie in Klammern: (Vorurteile, denk an Frau Klemmer!)

Mathilde warf ihr Notizbuch in die Tasche, schnappte ihren Pullover und fischte nach ihren Schuhen unter dem Bett. Sie musste sich beeilen, denn auf dem Reiterhof liefen bereits die Vorbereitungen für das jährliche Ringreitturnier auf vollen Touren.

Aber vorher wollte sie noch 20 Minuten Mathematik üben, Hausaufgaben machen und den Kaffeetisch für ihren Onkel decken, der nach der Frühschicht auf dem Sofa schnarchte.

Kaum eine Stunde später sprang Mathilde die letzte Stufe hinunter, um ins Hüpftempo zu wechseln. Sie wollte rechtzeitig zum Training da sein und so wurde aus Hüpfen Laufen und aus Laufen schließlich Rennen.

„Vor wem fliehst du?“, rief jemand.
„Da kommt man ja kaum mit dem Fahrrad hinterher!“
„Hallo, Gregor! Ich will zum Reiterhof. Da starten heute die Vorbereitungen für das Ringreitturnier.“
„Ringreiten?“ Gregor runzelte die Stirn.
„Beim Ringreiten versuchen die Reiter einen Ring im Galopp mit einer Lanze aufzuspießen. Wer die meisten Ringe sticht, hat gewonnen“. Mathilde ahmte die Bewegungen des Reitens und Stechens nach - und das in vollem Lauf.

„Das ist ja wie bei den Rittern. Die haben auch mit Lanzen auf Turnieren gekämpft, wobei sie ihre Gegner treffen mussten.“ Gregor klang sichtlich interessierter.

„Das werde ich mir mal anschauen. Ich muss aber erst die Einkäufe nach Hause bringen“, rief Gregor.

Mathilde schaute den Teilnehmern zu, von denen einige kaum reiten konnten. Abermals fiel ein Mädchen vom Pferd, das aus dem Gleichgewicht kam, als es den Ring mit der Lanze anvisierte.

„Reiten muss man im Schlaf beherrschen, wenn man mit einer Lanze einen hoch oben angebrachten Ring treffen will“, überlegte Mathilde. Sie war froh, dass das Mädchen aufstand und sich den Staub abklopfte. Jetzt erinnerte sie sich. Sie war am Anfang des Trainings schon einmal vom Pferd gefallen.

„Die ist aber hartnäckig!“, murmelte Mathilde und musste an das Thema „ausdauernd und geduldig“ denken. „Ich hoffe, sie verletzt sich nicht.“

„Ich deeenke, dass sich das Mädchen nicht verletzen wird, denn es hat im Fallen schon einige Übung. Würdest du auch gerne am Turnier teilnehmen?“, fragte die Schnecke.

Wehmütig blickte Mathilde zu den übenden Reiterinnen und Reitern und nickte. „Ich muss erst reiten lernen. Ich bin noch nie auf einem Pferd gesessen.“
„Woooher weißt du dann, dass du gerne reitest?“

Mathilde kratzte sich erst am Kopf und zupfte sich danach am Ohr. „Das weiß ich nicht, aber …“, sie stockte. Gregor stand plötzlich neben ihr.

„Mit wem redest du?“
„Ach, ja, äh, hm. Ich habe laut vor mich hingesprochen. Das mache ich ab und zu, wenn ich nachdenke“, antwortete Mathilde mit tomatenrotem Kopf.

Abends saß sie am Schreibtisch und dachte lange über die Frage der Schnecke nach, ob ihr das Reiten gefiele und warum sie ein Pferd wolle.

„Ich sollte erst einmal testen, ob das Reiten mir Spaß macht und ob ich es lernen kann.“

Auf der Seite, wo unter anderem zu lesen war:

3. Eigenes Pferd

  • Zeitungen austragen und Geld sparen
  • „Mein großes Pferdebuch“ lesen
  • Geld zu Weihnachten und zum Geburtstag wünschen und sparen
  • Bei der Reitschule zuschauen

notierte Mathilde:

  • „Lerne erst einmal reiten!“

Nachts träumte Mathilde von Palmen, von fliegenden Fischen, von grünen Bergen, tanzenden Wellen, endlosen Stränden und neuen Laufschuhen. Pferde kamen nicht vor, aber Träume sind ja so flugs vergessen. Mag sein, es waren doch welche dabei.

38. Die Hofnärrin

Heute hatte Mathilde viel vor. Sie schaute auf die lange Liste, Frühstück machen für Onkel, Staubsaugen, 20 Minuten Mathematik, mit Marei und Gregor zum Ringreiten und abends Frau Klawitsch besuchen, wo Marei, Gregor, Tiberius und sie zum Essen eingeladen waren. Nach den ersten drei Erledigt-Haken war es Zeit, sich zu beeilen, denn um zehn wollte sie sich mit ihren Freunden am Kiosk treffen.

„Hallo, Mathilde!“„Hallo, Marei. Siehe da! Gregor kommt auch schon.“
„Huhu, die Damen“, rief Gregor und schwenkte sein kariertes Käppi, das er seit neustem tragen musste.

Kurze Zeit später erreichten die Freunde den Reiterhof. Die große Reithalle war umzingelt von Ständen und Buden. Es roch nach Bratwurst, Pommes und Mandeln und die Ohren versorgte der örtliche Musikverein. Süßigkeiten, Spielzeug und selbst Haushaltswaren – alles konnte man kaufen. Ein Künstler stellte Pferdebilder aus, die besonders Gregor untersuchte.

Eine Fanfare erklang und der Umzug begann. Reiter in bunten Kostümen und Lanzen führten den Tross an. Ein Pferdewagen, auf dem die Musikkapelle lautstark an das Turnier erinnerte, rumpelte hinterher.

„Mir brummt schon der Kopf von dem ganzen Rumtata. Können die nicht mal eine Pause machen“, stöhnte Gregor und ließ sich auf einen Strohballen fallen.

Mathilde nickte, hörte aber nicht wirklich zu, denn sie beobachtete mit offenem Mund eine Reiterin, die sich mit ihrem Dartmoor Pony einritt.

"Was schaust du so erstaunt?", fragte Marei.

"Das Mädchen ist beim Training immer vom Pferd gefallen. Ich glaub einfach nicht, dass sie mitmacht", sagte Mathilde und schüttelte den Kopf.

"Die kann nicht reiten und nimmt teil? Na ja, warum nicht? Früher gab es auch Hofnarren, die den Adel und das gewöhnliche Publikum erheiterten."

"Sei nicht so gemein, Gregor", sagte Marei. "Ich finde es gut. Es geht ja nicht nur um den Königstitel, sondern auch um Lernen, Kameradschaft und Freude am Spiel."

"Ich und gemein? Wie siehst du das, Mathilde?“, fragte Gregor.

"Ich bewundere ihren Mut und ihre Ausdauer. Aber ich habe auch ein wenig Angst, dass sie stürzt. Ich kann überhaupt nicht hinschauen", antwortete sie und tat es doch.

Noch eine ganze Zeit sprachen sie über das Thema, aber irgendwann roch es zu verführerisch, und das gemeinsame Pommes-Essen unterbrach ihr Gespräch.

"Was uns wohl bei Frau Klawitsch erwartet? Und warum hat sie uns überhaupt eingeladen?"

"Da habe ich auch keine Idee, Mathilde", sagte Gregor und schüttete die letzten Pommeskrümel aus der Pappschale in seinen Mund.

39. Das muss ich malen

Auf dem Weg zu Frau Klawitsch waren die Drei immer noch in Bann geschlagen von den Eindrücken des Turniers.

"Mir hat gefallen, dass das Mädchen gewonnen hat. Das war nur gerecht, nachdem ein Ring im ersten Durchgang nicht als Punkt gewertet wurde", sagte Marei.

"Das spannende Stechen und die Pausen der Musikkapelle fand ich großartig", sagte Gregor. Er stellte sein Rad ab und half Marei über die Straße.

"Und für dich Mathilde?"

Doch sie antwortete nicht. Mechanisch, in Gedanken versunken, trottete sie neben ihren Freunden her.

"Mathilde? Jemand zu Hause?", rief Gregor.
"Oh, äh, ja, entschuldigt – was habt ihr gefragt?"

"Wo warst du denn eben? Ich hatte dich gefragt, was für dich das Interessanteste war", sagte Gregor.

"Darüber hab ich gerade nachgedacht. Es war die Reiterin, die immer wieder vom Dartmoor Pony fiel. Die Zuschauer lachten, aber sie stand immer wieder auf, fing ihr Pony ein und versuchte es von Neuem. Sie war nicht unbedingt erfolgreich im Turnier, aber letztlich war sie es doch.“ Mathilde blieb stehen und notierte etwas.

"Ja, das hat mich auch beeindruckt. Ich fand anfangs, dass jemand reiten können müsse, wenn er teilnimmt. Aber das sehe ich jetzt anders", sagte Gregor.

Zeit und Weg flogen vorbei und schon bogen sie in die Allee zum Wohnheim ein. Sie gingen durch den mit Efeu bewachsenen Torbogen, der die stets offenen Eisengittertüren trug. Kurz darauf standen sie vor dem gewaltigen Hauptgebäude und staunten.

"Das muss ich malen!", rief Gregor.
"Was? Jetzt?", fragte Marei.

"Das riesige Haus, die beiden Löwen am Eingang, die prächtigen Blumen, die blühende Hecke. Oh ja, und der Teich. Seht ihr die bunten Kois. Das ist phantastisch." Gregor fuchtelte mit den Armen und lief hin und her wie ein Clown in der Manege. Sogleich zog er aus seiner Jackentasche einen Block und skizzierte.

Marei und Mathilde schauten sich lachend an. Sie ließen den Künstler arbeiten und suchten den Empfang.

Ein Mann rief quer durch die Halle: „Hallo, Mathilde, wunderbar, dass du uns besuchst. Wie ich sehe, hast du eine Freundin mitgebracht!“

"Einfach schön, wenn man mit Namen angesprochen wird und Menschen einen wiedererkennen", flüsterte Mathilde und Marei nickte.

"Ja, ich freue mich auch. Frau Klawitsch hat uns eingeladen", sagte Mathilde. Danach stellte sie Marei vor.

"Der Junge, der in den Beeten umherläuft, ist Gregor. Er gehört auch dazu", sagte Mathilde.

"Gut zu wissen. Hoffen wir, dass der Gärtner ihn nicht erwischt. Übrigens, ich heiße Darijo. Bitte wartet hier, während ich Frau Klawitsch informiere, dass ihr da seid", sagte er und ließ die beiden zurück.

"Mathilde, schau da!" Marei deutete auf ein Schild. Sprachlos blickten sie auf das Begrüßungsschild. Sie fühlten sich, als wären sie etwas Besonderes. Als würde heute noch Außergewöhnliches passieren.

WIR BEGRÜSSEN HEUTE MATHILDE, MAREI, GREGOR UND TIBERIUS.

40. Am Lagerfeuer

"Entschuldigt, aber ich musste Notizen machen, damit ich die richtigen Farben und Materialien besorge. Ich sehe es vor meinem inneren Auge. Es wird ein wunderbares Bild", rief Gregor.

"Frau Klawitsch ist gleich bei euch. Sie lässt ausrichten, dass ihr auf die große Terrasse gehen und von dort aus dem Rauch folgen möchtet, bis ihr auf Tiberius und Ipo am Lagerfeuer trefft", sagte Darijo.

"Ein Lagerfeuer! Eine großartige Idee. Worauf warten wir?", rief Marei.

Auch Gregor und Mathilde waren begeistert, aber den Rollstuhl über die Wiese zu schieben war eine schweißtreibende Aufgabe, denn die Räder sanken immer wieder im feuchten Boden ein.

"Das sah anstrengend aus", sagte Tiberius. "Ipo und ich haben bereits das Feuer entfacht, denn gegen Abend wird es hier feucht und ein kühler Wind schleicht über die Felder."

"Hallo, ihr drei", rief jemand von der Terrasse. Es war Frau Klawitsch, die sich bei Herrn Henning eingehakt hatte. Hinter ihnen trugen Darijo und eine Frau Bastkörbe mit Essen.

Auf einem Holztisch platzierte man Essen und Getränke. Frau Klawitsch erklärte, dass sie Herrn Henning nur eingeladen hätte, weil man Lagerfeuer anmelden müsse, und es in diesem Fall besser sei, die Polizei gleich dabei zu haben. Alle lachten. Anschließend kam noch ein Überraschungsgast. Es war Mathildes Onkel, den Tiberius eingeladen hatte.

"Meine lieben Gäste", nahm Frau Klawitsch das Wort. "Ich freue mich, dass ihr alle da seid. In meinem Alter ist es nicht selbstverständlich, dass man Freunde und Bekannte hat, über deren Besuch man sich freut und die nicht nur aus Pflichtgefühl kommen. Bitte hebt eure Gläser und lasst uns auf einen unvergesslichen Abend am Lagerfeuer trinken. Prost, ihr Lieben!"

Es war ein besonderer Abend, denn noch nie hatten die Besucher Piroggen gegessen und Tschai getrunken. Die Teigtaschen aus Blätterteig mit den unterschiedlichsten Füllungen hatte Frau Klawitsch, deren Mutter Russin war, selbst gebacken. Es wurde russischer Tee, der Tschai, getrunken und reihum Geschichten erzählt.

Zum krönenden Abschluss spielte Darijo auf der Gitarre und Frau Klawitsch sang russische, italienische und deutsche Lieder. Alle klatschten und summten zum Rhythmus und feierten am Lagerfeuer.

"Und das alles nur, weil ich Ipo eingefangen habe", überlegte Mathilde, als sie spät abends auf ihrem Bett saß. Sie las noch einmal den Satz, den sie heute beim Ringreiten notiert hatte.

  • Das Mädchen mit dem Dartmoorpony fragen, wie es die Angst vor dem Fallen überwunden hat

"Wie überwinde ich diese Angst?", flüsterte Mathilde, zog am Ohrläppchen und schlief kurze Zeit später ein.

 

 

In einigen Tagen geht es weiter.

(c) Michael Behn

Als Audio-Version

Sprecherin: Inge Blesinger, freie Mitarbeiterin im blueprints Team

 

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Geschrieben von

Michael Behn
Michael Behn

Michael arbeitet als Trainer und Coach im Bereich Kommunikationstraining und Selbstmanagement. Er arbeitet bundesweit für kleine und mittelständische Unternehmen. Schwerpunkt sind Führungstrainings, Verkaufstrainings und das Thema Zeit- und Selbstmanagement. Er ist Gründer von blueprints, was seit dem Jahr 2000 eine Leidenschaft von ihm ist.

https://www.blueprints.de

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