Der alte Großvater und der Enkel
Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm.
Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floss ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen musste sich der alte Großvater hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in einem Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass.
Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur.
Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus musste er nun essen. Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen.
"Was machst du da?" fragte der Vater. "Ich mache ein Tröglein", antwortete das Kind, "daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin."
Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen an zu weinen, holten den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.
Aus der Märchensammlung der Brüder Grimm, basiert auf Johann Michael Moscheroschs Mahngedicht Kinderspiegel von 1643
Interpretation der Geschichte
In einer Gesellschaft, die oft Leistung und Jugend über alles stellt, erinnert uns diese Geschichte daran, wie entscheidend der Umgang mit den Alten und Schwachen ist.
Uns lehrt die Geschichte viel über Menschlichkeit, Respekt und die Verantwortung, die wir gegenüber unseren Mitmenschen haben – besonders den Schwächsten. Sie zeigt, wie leicht man in der Hektik des Alltags verlernen kann, Empathie zu zeigen, und wie wichtig es ist, sich von Zeit zu Zeit selbst zu hinterfragen.
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Was wir aus der Geschichte lernen können
- Kinder sind Spiegel unserer Handlungen: Oft merken wir gar nicht, dass sie uns beobachten und von uns lernen. Ihre Worte und Taten können uns jedoch zeigen, wo wir uns selbst verbessern müssen.
- Respekt ist keine Frage des Alters: Jeder Mensch verdient Würde und Achtung, unabhängig davon, wie alt, krank oder schwach er ist.
- Kleine Gesten machen den Unterschied: Ein Platz am Tisch, ein freundliches Wort – oft sind es die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.
Hintergrund: Die Bedeutung des "Kinderspiegels"
Johann Michael Moscheroschs "Kinderspiegel" war ein Mahngedicht, das Eltern dazu aufforderte, über ihre Erziehung nachzudenken. Es diente als moralische Richtschnur in einer Zeit, in der der Umgang mit Kindern und Alten oft von strengen Regeln geprägt war. Die Brüder Grimm übernahmen die Grundidee und machten daraus eine leicht verständliche, universelle Geschichte.
Interessante Fakten zur Entstehung
- Moscheroschs Werk entstand in einer Zeit, in der die Familie die wichtigste soziale Einheit war. Die Geschichte reflektiert die damaligen Werte und Normen.
- Die Brüder Grimm sammelten solche Erzählungen nicht nur als Märchen, sondern auch, um kulturelle Werte zu bewahren.
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