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Miss Rose auf dem Baum

Geschichte

Miss Rose und das Wesen der Menschen

Wir schreiben das Jahr 55 nach Christi Geburt. Miss Rose, die unsterbliche Katze, lag zu dieser Zeit tagsüber gerne bei einer alten Weberin, die ihr Handwerk am Rande einer viel begangenen Straße ausübte. Diese führte direkt in eine große Stadt. Wie die Stadt hieß, weiß Miss Rose leider nicht mehr.

Ein Wanderer kam des Weges. Er fragte die alte Weberin: "Seid gegrüßt, ehrenwerte Frau. Sagt: Wie sind die Menschen in der Stadt? Sind es freundliche Zeitgenossen oder muss ich einen schroffen Empfang fürchten?"

"Wie waren sie denn dort, von wo du herkommst?", wollte die Alte wissen.

"Oh, da kann ich mich nicht beschweren. Die Menschen waren dort stets wohlwollend, nett und zuvorkommend zu mir."

"Das freut mich zu hören. Ich kann dich beruhigen. Auch in dieser Stadt werden die Menschen herzlich zu dir sein."

Aufgemuntert pfeifend schritt der Fremde weiter in Richtung Stadt. Miss Rose hatte dem Gespräch ohne große Aufmerksamkeit zugehört und schloss wieder die Augen.

Kurz danach kam der nächste Wanderer und fragte dieselbe Frage.

"Sagt Alte, wie sind die Menschen in der Stadt?"

Wieder wollte die Weberin wissen: "Wie waren sie denn dort, von wo du herkommst?"

"Oh, da kann ich nichts Gutes berichten. Kaltherzig, ungastlich und übellaunig."

"Ja, so sind die Menschen. Auch in dieser Stadt wirst du das Gleiche erleben."

Griesgrämig zuckte der Fremde mit den Schultern und ging grußlos weiter.

Miss Rose muss heute noch schmunzeln, wenn sie an die alte Weberin denkt.

(Nach-)Erzählt von Peter Bödeker

Gedanken zur Geschichte

Die Moral der Geschichte – was sie uns heute noch sagt

Die alte Weberin spiegelt nichts weiter als den Wanderern sie selbst zurück. Wer mit freundlichen Erwartungen durchs Leben geht, wird Freundlichkeit finden. Wer nur Ablehnung und Missgunst erwartet, bekommt meist genau das serviert. Ob die Menschen in der Stadt „wirklich“ so oder so sind, bleibt Nebensache.

Entscheidend ist: Wir sehen die Welt durch die Brille unserer Haltung. In diesem Sinn ist die Geschichte weniger eine Lektion über die Menschen, sondern über uns selbst.

Was meinst du: Verhalten sich Menschen uns gegenüber passend zu der Sichtweise, die wir über diese Menschen haben?

 

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Die bisherigen Stimmen:

Ja, wie ich Menschen betrachte, so verhalten sie sich mir gegenüber. 8 Stimmen
Das ist mal so mal so. 8 Stimmen
Kann ich nicht sagen. 1 Stimme
Nein, das Verhalten der Menschen wird von meiner Sicht auf sie kaum bis gar nicht beeinflusst. 0 Stimmen

Psychologischer Unterbau – eine kleine Einladung zur Selbstbeobachtung

Man könnte das Ganze auch als frühes Beispiel für den sogenannten „Bestätigungsfehler“ lesen. Wir Menschen neigen dazu, das zu sehen, was wir ohnehin schon erwarten. Wer glaubt, dass alle unhöflich sind, merkt sich genau die unhöflichen Begegnungen und übersieht die freundlichen. Umgekehrt gilt dasselbe. Die Weberin wusste das offenbar instinktiv – lange bevor Psychologen dem Kind einen Namen gaben. Siehe dazu auch:

Beitrag: Mit Anfängergeist zu mehr Selbsterkenntnis

Mit Anfängergeist zu mehr Selbsterkenntnis

Mann vor Spiegel - Symbolbild Anfängergeist

Anfängergeist üben: Mit Shoshin zu mehr Selbsterkenntnis im Alltag

Es gibt Momente, da lohnt es sich, die mentale Brille einmal abzunehmen und das Gewohnte mit einem frischen Blick zu betrachten - nicht nur die Welt, sondern auch das eigene Innenleben. Genau hier setzt der Gedanke des "Anfängergeistes" (auf Japanisch Shoshin) an: eine Einladung, neugierig, urteilsfrei und offen zu bleiben - auch gegenüber sich selbst.

Wer diese Haltung kultiviert, entdeckt nicht nur ungeahnte Facetten der eigenen Persönlichkeit, sondern gewinnt Klarheit, wo bisher blinde Flecken dominierten. Der folgende Beitrag bietet fundierte Hintergründe und alltagstaugliche Impulse für alle, die sich selbst ernsthaft auf die Spur kommen möchten.

Hier weiterlesen: Mit Anfängergeist zu mehr Selbsterkenntnis

  • Parallelen zum Alltag
    Wie oft ertappen wir uns selbst dabei, in eine neue Runde von Kolleg:innen oder in ein neues Projekt zu starten mit dem festen Gefühl: „Das wird sicher wieder stressig.“ Überraschung: Es wird stressig. Kein Wunder – die eigene Haltung ist wie ein unsichtbares Drehbuch, nach dem andere spielen, ohne es zu merken. Umgekehrt: Wer offen und wohlwollend in eine Situation geht, bekommt häufiger wohlwollende Resonanz. Nicht immer, aber erstaunlich oft.
  • Ironie des Schicksals
    Natürlich gibt es Menschen, die schlicht mies drauf sind – ganz ohne dass man sie „herbei gedacht“ hat. Die Geschichte verschweigt diesen nüchternen Teil des Lebens nicht, sondern umarmt ihn mit einem kleinen Augenzwinkern: Vielleicht war die Weberin einfach klug genug, den zweiten Wanderer nicht mit moralischem Zeigefinger zu bekehren, sondern ihn gewähren zu lassen. Wer sich in seiner schlechten Laune einrichten will, darf das. Nur: schön wohnt es sich darin nicht.
  • Der historische Rahmen – oder das, was wir davon haben
    Das Setting – „55 nach Christi Geburt“ – ist natürlich frei erfunden. Ein literarischer Kunstgriff, um Distanz zu schaffen. Niemand soll sich persönlich angegriffen fühlen, wenn es um Eigenwahrnehmung geht. Stattdessen wird die Szenerie verschoben in eine halb mythische Vergangenheit, die genug Platz lässt für Projektion. Man könnte die Geschichte ebenso gut in ein modernes Straßencafé setzen – der Kern bliebe derselbe.
  • Miss Rose – die stille Beobachterin
    Und dann ist da noch Miss Rose. Sie hört zu, döst weg, denkt wenig darüber nach. Gerade ihre Randstellung macht sie interessant: Sie repräsentiert uns als Publikum. Wir beobachten eine Geschichte über Erwartung und Wirklichkeit, ohne direkt beteiligt zu sein. Ihr Schmunzeln am Ende zeigt: Das Ganze ist nicht nur ernst, sondern will mit einem Lächeln verstanden werden.

Kannst du einen Gedanken zum Wesen des Menschen ergänzen?

Vielen Dank für jede Anregung!

 

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Über Miss Rose

Miss Rose ist eine Katze, die im Jahre 4.895 vor Christus geboren wurde. Sie lebte u. a. bei Tabaka in Kapstadt, bei Eric in Düsseldorf und bei einer alten Weberin. Wenn sie jagt, wendet sie eine Yoga-Meditationstechnik an.

Die Geschichten von Miss Rose bisher

Weitere Geschichten, die Miss Rose während ihres langen Dasein erlebt hat:

Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach.

https://www.blueprints.de

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