Verhalten braucht Vorbilder
Nur in der Wechselwirkung von Anlagen, Begabungen und Talenten mit der Umwelt, den kulturellen und moralischen Regeln und insbesondere den Vor- und Leitbildern entwickelt sich der Mensch zur Person.
Weil aber kaum eindeutig verbindliche und klare Regeln bestehen und gelten, muss der heutige Mensch aus Beobachtungen lernen, was jeweils richtig oder falsch, gewollt oder nicht gewollt ist.
Die Antwort eines 9-jährigen Mädchens in einer Radiosendung hat mir erneut bestätigt, wie schwer sich schon Kinder tun, Sicherheit bietende und Erfolg stabilisierende Ordnung zu lernen. Auf die Frage der Moderatorin, welche Vorbilder sie habe, antwortete das Mädchen: "Keine". Eine erneute, helfende Nachfrage, in der die Moderatorin als Beispiele Sportler, Sänger und Schauspieler nannte, kam ein erneutes "Nein". Ein letzter Versuch der Moderatorin war: "Und Dein Vater, ist das kein Vorbild?" "Nein", antwortete das Mädchen "der fährt in der Stadt immer 70!"
Wie sollen Kinder gewolltes Verhalten lernen, Mitarbeiter gewollte Verhaltensweisen entwickeln und praktizieren, wenn sie von ihren Eltern bzw. Führungskräften Verhaltensweisen vorgelebt bekommen, die die Worte Lügen strafen?
Wenn Politiker lügen, ehrenwörtliche Falschaussagen machen, Unternehmer und Führungskräfte ihre Kunden und Mitarbeiter täuschen, wenn dann Eltern statt ihrer Verantwortung nachzukommen, über die Gesellschaft, die Politiker, die Schulen, die Unternehmer schimpfen, wenn Führungskräfte über die Geschäftsleitung, die Gewerkschaften, die Wettbewerber negative und abwertende Aussagen produzieren, kann wohl kaum eine hilfreiche Vorbildwirkung entstehen.
Unworte sind die ersten Schritte zu Untaten!
Das muss jedem zu denken geben, der von einer "Verkaufsfront" spricht, von "den Idioten", von "den Bullen", von "Gesprächseinstieg", von "Einwänden", von "niedermachen", von "rauskegeln" von Kunden-Bindung, um nur einige Beispiele zu nennen.
Dass Menschen Ordnung und klare Regeln brauchen und suchen, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die Wohngebiete, die Vereine, die Unternehmen größten Zulauf haben, in denen klare Regeln Sicherheit vermitteln.
Beobachtungen zeigen, dass die Unternehmen, die klare Werte formulierten und diese ernst nehmen, mehr als notwendig Blindbewerbungen bekommen. Dies ist ein Indiz für eine weitere Beobachtung, wonach immer mehr junge Menschen nicht (nur) wegen des Geldes - das ist seit Herzberg ohnehin (nur) ein Hygienefaktor -, sondern wegen der Unternehmenskultur und der Begeisterung für "ihr" Unternehmen mehr leisten und sagen, dass ihnen dies Spaß mache. Dabei verstehen sie unter Spaß nicht das Gleiche wie frühere Generationen. Sie meinen damit das Aufgehen in der Aufgabe, wie es nur bei der Übereinstimmung eigener Werte mit den Unternehmenswerten und den Aufgaben entsprechendem Können möglich ist.
Wer als Eltern spätere Achtung erfahren oder als Unternehmer Leistungsbereitschaft und -fähigkeit in sein Unternehmen integrieren will, muss als Vorbild akzeptiert werden können. Mit entsprechender Authentizität statt Taktik, Begeisterung statt Überzeugung, Gesprächsbereitschaft statt Überredung und Wertschätzung statt Durchsetzungsvermögen wird dies erreichbar.
Horst Rückle (Unternehmensberater, Coach und Trainer)