Die Biene und die Henne - Interpretation des Gedichtes von Christian Fürchtegott Gellert
"Nun Biene", sprach die träge Henne,
"Dies muss ich in der Tat gestehn:
So lange Zeit, als ich dich kenne,
So seh' ich dich auch müßiggehn.
Du sinnst auf nichts als dein Vergnügen;
Im Garten auf die Blumen fliegen
Und ihren Blüten Saft entziehn,
Mag eben nicht so sehr bemühn.
Bleib immer auf der Nelke sitzen,
Dann fliege zu dem Rosenstrauch.
Wär' ich wie du, ich tät' es auch.
Was brauchst du andern viel zu nützen?
Genug, dass wir so manchen Morgen
Mit Eiern unser Haus versorgen."
"O!" rief die Biene, "spotte nicht!
Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
Nicht so, wie du bei einem Eie,
Aus vollem Halse zehnmal schreie:
So, denkst du, wär' ich ohne Fleiß.
Der Bienenstock sei mein Beweis,
Wer Kunst und Arbeit besser kenne,
Ich oder eine träge Henne?
Denn, wenn wir auf den Blumen liegen,
So sind wir nicht auf uns bedacht;
Wir sammeln Saft, der Honig macht,
Um fremde Zungen zu vergnügen.
Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
Und schreien wir bei warmen Tagen,
Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
Uns nicht, wie du im Neste, heisch:
So präge dir es itzund ein:
Wir hassen allen stolzen Schein;
Und wer uns kennen will, der muss in Rost und Kuchen
Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.
Auch hat uns die Natur beschenkt
Und einen Stachel eingesenkt,
Mit dem wir die bestrafen sollen,
Die, was sie selber nicht verstehn,
Doch meistern und verachten wollen:
Drum, Henne! rat' ich dir, zu gehn."
O Spötter, der mit stolzer Miene,
In sich verliebt, die Dichtkunst schilt,
Dich unterrichtet dieses Bild.
Die Dichtkunst ist die stille Biene;
Und willst du selbst die Henne sein,
So trifft die Fabel völlig ein.
Du fragst, was nützt die Poesie?
Sie lehrt und unterrichtet nie.
Allein wie kannst du doch so fragen?
Du siehst an dir, wozu sie nützt:
Dem, der nicht viel Verstand besitzt,
Die Wahrheit durch ein Bild zu sagen.
Christian Fürchtegott Gellert (1715 - 1769), deutscher Dichter
Interpretationen des Gedichtes "Die Biene und die Henne" von Christian Fürchtegott Gellert
Wie interpretierst du das Gedicht -Die Biene und die Henne- von Christian Fürchtegott Gellert?
blueprints-Leserin "Svenja":
- Während die Henne laut gackert, wenn sie ein Ei legt, arbeitet die Biene still und sammelt Nektar. Dies zeigt, dass nicht alle wertvollen Beiträge laut angekündigt werden müssen.
- Die Henne sieht nur die scheinbare Faulheit der Biene, ohne den wahren Wert ihrer Arbeit zu erkennen. Das erinnert uns daran, dass wir oft vorschnell urteilen, ohne das ganze Bild zu sehen.
- Gellert verwendet die Biene als Metapher für die Dichtkunst. Obwohl Poesie oft als nutzlos angesehen wird, weil sie nicht immer direkt lehrt, hat sie dennoch einen tiefen Wert, indem sie Wahrheiten durch Bilder vermittelt.
- Ein schönes, lehrreiches Gedicht!
Michaels Interpretation:
Die Henne spottet über die Biene und unterstellt ihr Müßiggang, weil sie nicht über die wirkliche Arbeit der Biene informiert ist. (So lange Zeit, als ich dich kenne, So seh' ich dich auch müßiggehn. Du sinnst auf nichts als dein Vergnügen)
Das lässt sich die Biene nicht bieten und hält dem Huhn den Spiegel vor. (Nicht so, wie du bei einem Eie, Aus vollem Halse zehnmal schreie: So, denkst du, wär' ich ohne Fleiß.)
So ist es ja auch bei uns Menschen. So mancher "schreit" laut heraus, was er alles leistet und was er hat. Manche sind ruhiger und brüsten sich nicht mit dem, was sie tun und leisten.
Am Ende des Gedichtes wird auf den Wert der Dichtkunst hingewiesen, die nicht belehrt, sondern Einsichten vermittelt.
Aus diesem Grund war wohl Christian Fürchtegott Gellert ein beliebter Zeitgenosse zu Zeiten der Aufklärung. Ein Mensch, der versucht zu lehren und nicht zu belehren.
Kurzvita von Christian Fürchtegott Gellert
Christian Fürchtegott Gellert wurde am 4. Juli 1715 in Hainichen, Sachsen, geboren und starb am 13. Dezember 1769 in Leipzig. Er war ein deutscher Dichter und Philosoph, der besonders für seine Fabeln und Erzählungen bekannt wurde.
Gellert studierte an der Universität Leipzig und wurde später dort Professor für Poesie. Er war nicht nur ein beliebter Lehrer, sondern auch ein gefeierter Schriftsteller seiner Zeit. Viele seiner Werke, insbesondere seine Fabeln, wurden in Schulbüchern aufgenommen und von Generationen von Schülern gelesen.
Gellert war ein Vertreter der Aufklärung und betonte in seinen Werken oft die Bedeutung von Tugend und Moral. Er glaubte an die Kraft der Bildung und daran, dass Menschen durch Lernen und Reflexion bessere Entscheidungen treffen können. Seine Werke hatten einen großen Einfluss auf die deutsche Literatur und Kultur und inspirierten viele spätere Schriftsteller und Denker.
Gellert war bekannt für seinen bescheidenen und zurückhaltenden Charakter. Trotz seines Ruhms und Erfolgs blieb er demütig und bodenständig. Er hatte einen einfachen und klaren Schreibstil, der es den Lesern leicht machte, seine Botschaften zu verstehen.
Christian Fürchtegott Gellert war ohne Zweifel eine der prägenden Figuren der deutschen Aufklärung. Seine Werke, vornehmlich seine Fabeln, haben die Zeit überdauert und werden noch heute gelesen und geschätzt. Sein Leben und sein Werk sind ein Zeugnis für die Kraft der Worte und die Bedeutung der Bildung.
Audio und Video zu "Christian Fürchtegott Gellert"
Hörbuch: Fabeln und Erzählungen von Christian Fürchtegott Gellert | Komplett | Deutsch
Länge: 4:44 Stunden
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Video: Lyrik für Alle Folge 8 Christian Fürchtegott Gellert
Länge: 9:05 Minuten
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