Die Gans (von Gotthold E. Lessing)
Die Federn einer Gans beschämten den neugeborenen Schnee. Stolz auf dieses blendende Geschenk der Natur glaubte sie eher zu einem Schwane als zu dem, was sie war, geboren zu sein. Sie sonderte sich von ihresgleichen ab und schwamm einsam und majestätisch auf dem Teiche herum.
Bald dehnte sie ihren Hals, dessen verräterischer Kürze sie mit aller Macht abhelfen wollte; bald suchte sie ihm die prächtige Biegung zu geben, in welcher der Schwan das würdige Ansehen eines Vogels des Apollo hat. Doch vergebens; er war zu steif, und mit aller ihrer Bemühung brachte sie es nicht weiter, als dass sie eine lächerliche Gans ward, ohne ein Schwan zu werden.
Gotthold Ephraim Lessing (1729 - 1781), deutscher Schriftsteller
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- Geschrieben von Susanne Behn
- Zuletzt aktualisiert: 29. Januar 2021
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