Jede Freude ist ein Gewinn und bleibt es, auch wenn er noch so klein ist.
Robert Browning, Dichter und Dramatiker, 1812 - 1889
Als ich an diesem Morgen zum See hinunterging, um zu meditieren, war es etwa fünf Uhr. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber man ahnte ihr Licht schon hinter dem Horizont. Der See sah aus wie eine glänzende schwarze Asphaltfläche. Die Luft war frühlingsmild und das einzige, was man hörte, waren die verschiedenen Stimmen vieler Vögel, die den Frühlingsmorgen begrüßten.
Ich betrat den Steg, breitete meine Matte aus und platzierte mein Sitzkissen. Dann kniete ich mich hin und atmete genussvoll die noch kühle, erfrischende Luft. Ich blickte auf den See und den dunklen Waldrand am anderen Ufer. Weil die Sonne sich jetzt langsam über den Horizont schob, veränderte sich das Licht in jeder Minute. Es war eine unwirkliche Stimmung zwischen Tag und Traum. Ich atmete noch einmal tief durch und wollte die Augen schließen, um mit der Meditation zu beginnen.
Doch plötzlich wurde die Ruhe von Geplätscher und einem lauten jämmerlichen Geschnatter gestört. Ich blickte nach rechts und sah eine Schwanenfamilie, die einen "Morgenspaziergang" machte.
An der Spitze schwamm majestätisch und sich seiner Kraft und Schönheit voll bewusst der Schwanenvater; man begriff sofort den Ausdruck: "Stolz wie ein Schwan". Hinter ihm schwammen sieben kleine Schwanenkinder, die mehr wie kleine graue Mäuse wirkten. Sechs von ihnen schwammen perfekt in einer Reihe und versuchten, die majestätische Haltung des Vaters zu kopieren. Aber das siebte Küken hatte offensichtlich seinen eigenen Kopf und wollte diese wunderbare Welt genauer entdecken. So schwamm es immer wieder auf Abwegen, mal nach rechts, mal nach links. Und wenn es nach einem Moment merkte, dass es zu weit von seinem Geschwister zurückgefallen war, versuchte es panisch so schnell wie möglich den Anschluss wieder herzustellen. Es strampelte und paddelte wie wild und dabei schnatterte es erst laut protestierend, dann kläglicher, während es mehr übers Wasser lief, als das es schwamm. Den Schluss dieser Parade bildete die Schwanenmama. Ruhig und gelassen bugsierte sie das eigenwillige Küken immer wieder in die richtige Richtung. Man meinte, ihr mildes Lächeln zu sehen. Als das Küken, von der Anstrengung ermattet, gar nicht mehr vorankam, ermunterte die Mutter es, sich auf ihren Rücken zu setzen, wobei sie vorsichtig nachhalf. Das Küken krabbelte mehr tot als lebendig auf ihren Rücken und verkroch sich im Gefieder der Mutter. Doch kaum, dass es wieder japsen konnte, richtete es sich auf und genoss offensichtlich die bequeme Fahrt, wobei es schon wieder lauthals triumphierend schnatterte.
Ich war wie gebannt von diesem Erlebnis und hatte fast vergessen, warum ich hier auf dem Steg saß. Erst als die Schwanenparade schon eine Weile vorüber und das schnatternde Küken kaum noch zu hören war, besann ich mich. Ich atmete noch einmal tief durch, schloss die Augen und versank für eine halbe Stunde in tiefer Ruhe und Besinnung.
Das Bild der Schwanenfamilie aber hatte ich festgehalten; nicht mit einem Pinsel oder einer Kamera - ich hatte es einfach mit meiner Seele "fotografiert", wo es jetzt bei den vielen kostbaren Schätzen ruhte, die ich in meinem Leben schon gesammelt habe. Ich kann diese Szene in trüben Stunden jederzeit wieder als Trost hervorholen.
Auf dem Rückweg dachte ich tief dankbar daran, was für ein unbezahlbares Geschenk es war, in dieser schönen Umgebung leben zu dürfen. Und das wunderbare Lied "What A Wonderful Word" von Louis Armstrong ging mir wieder durch den Kopf.
Ich aß in aller Ruhe mein einfaches Frühstück und ging dann gestärkt und zuversichtlich an mein Tagwerk. Es versprach ein wunderschöner Frühlingstag zu werden.
Wann haben Sie das letzte Mal ein Foto für das Archiv in Ihrer Seele gemacht? Versuchen Sie es doch mal wieder. Gehen Sie mit offenen Augen durch die Welt!
Gott gibt uns Erinnerungen, damit wir im Winter Rosen haben.
Sir James Barrie, engl. Schriftsteller
Ihr blueprints Team