Das letzte Geschenk | eine Weihnachtsgeschichte
Großmutter fiel aus dem Rahmen. Gäste empfing sie liegend - auf ihrem Diwan. Stets glomm dabei eine schwarze Zigarettenspitze zwischen Zeige- und Mittelfinger. Ganz Greta Garbo.
Keine Familienfeier, auf der Omi meiner Mutter nicht durch einen anzüglichen Witz die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte. Sogar Vater stand mitunter der Mund offen.
Ich liebte meine Großmutter. Über alles!
Jedes Jahr freute ich mich auf das Weihnachtsfest, denn wir feierten bei Omi. Sie schmückte ihr ganzes Haus mit roten Kugeln, Marmorengeln und kleinen Schneemännern. In jeder Fensterbank fanden sich sattgrüne Tannenzweige, die mit Zapfen, Kügelchen und Nüssen verziert waren. Es glitzerte und blinkte überall, dass die Augen wehtaten. Ein Anblick, von dem jedes Kind träumt.
Und dann die Geschenke! Großmutter hatte Geld. Sie kaufte mir immer das, was Mama und Papa sich nur schwer leisten konnten. Riesige, wunderschöne Geschenke, die kaum in unser Auto passten. Mal ein Schaukelpferd, mal eine große Puppe, ein Kaufmannsladen, eine Eisenbahn ...
Am Weihnachtsfest in meinem zehnten Lebensjahr sollte sich dies alles ändern. Nichts währt ewig, alles hat seine Zeit. Das lernte ich damals.
"Ihr müsst wissen, dass es Großmutter nicht gut geht", sagte Vater, bevor wir am Heiligabend vormittags losfuhren.
Ich verstand gar nicht, was er damit meinte. Aber so schlimm würde es schon nicht sein ...
Bei Omi war es eigentlich wie immer. Jede Ecke und jeder Winkel des Hauses erinnerten daran, dass Weihnachten war. Aber eines war anders. Der Weihnachtsbaum. Besser gesagt: Der Platz unter dem Baum. Da lagen gar keine bunt eingepackten Geschenke.
Nur ein beiger Pappkarton, etwas größer als ein Schuhkarton, auf dem mit roten Buchstaben mein Name stand. Ich machte ihn voller Vorfreude auf, doch das hatte ich nicht erwartet: Der Karton war völlig leer und ich völlig enttäuscht.
Hatte ich etwas Böses getan? Großmutter verärgert? Was konnte ich Schlimmes gemacht haben, dass ich kein Geschenk mehr verdiente?
Da trat Omi an meine Seite und legte ihre Hand auf meine Schulter. Großmutters Hand war ganz leicht, so wie die Pfote unserer Katze.
Sie sagte mit leiser Stimme: "Das, was in diesem Karton ist, kannst du weder sehen noch anfassen, riechen oder schmecken. Doch es wird dich beschützen, dir Geborgenheit schenken, dich stark machen und dir immer dann helfen, wenn du Hilfe brauchst.
Es wird dein ganzes Leben lang halten. Von allen Geschenken, die du von mir bekommen hast, wirst du dich irgendwann nur noch an dieses erinnern."
Ich blickte auf und fragte: "Was ist denn in dem Karton, Großmutter?"
Eine Woche später ist meine Oma gestorben.
Sie hat recht behalten. Von den vielen, vielen Geschenken, die sie mir in meiner Kindheit gemacht hat, ist mir nur dieses geblieben: Ein ausgeblichener und ausgefranster Karton, der aber das schönste Geschenk der Welt in sich trägt: Die Erinnerungen an meine Kindheit mit meiner Großmutter.
Quelle unbekannt, nacherzählt von Peter Bödeker, aus dem blueprints Geschichtenbuch "Was wiegt dein Leben"
Die Geschichte als Download
Zum Download
Weitere Geschichten zur Weihnachtszeit
Hier findest du weitere Geschichten und Beiträge zur Weihnachtszeit auf blueprints:
Die Gaben der Tiere | eine Weihnachtsgeschichte
So konnte es nicht weitergehen! Alle Tiere des Hofes hatten sich im langen Stallgebäude vor der Schafweide versammelt. Es musste etwas geschehen, und jetzt war die passende Zeit dafür: Weihnachten. Da waren sich alle Tierbewohner der Farm einig. Doch was sollte man tun? Niemand konnte mit den Menschen reden. Sogar die schlaue Stute Herminda schnaubte ratlos mit ihren Nüstern.
"Darf ich einen Vorschlag machen?"
Alle Versammlungsmitglieder verstummten. Woher kam die schnatternde Stimme? Die Tiere blickten verwirrt von einem zum anderen.
Das Geschenk der Weisen | eine Weihnachtsgeschichte
Ein Dollar und siebenundachtzig Cent. Das war alles. Und sechzig Cent davon ja Pennies. Stück für Stück ersparte Pennies, wenn man hin und wieder den Kaufmann, Gemüsemann oder Fleischer beschwatzt hatte, bis einem die Wangen brannten im stillen Vorwurf der Knauserei, die solch ein Herumfeilschen mit sich brachte. Dreimal zählte Della nach.
Ein Dollar und siebenundachtzig Cent. Und morgen war Weihnachten. Da blieb einem nichts anderes, als sich auf die schäbige kleine Chaise zu werfen und zu heulen. Das tat Della. Was zu der moralischen Betrachtung reizt, das Leben bestehe aus Schluchzen, Schniefen und Lächeln, vor allem aus Schniefen.
Weihnachten (von Joachim Ringelnatz)
Weihnachten
Liebeläutend zieht durch Kerzenhelle,
mild, wie Wälderduft, die Weihnachtszeit.
Und ein schlichtes Glück streut auf die Schwelle
schöne Blumen der Vergangenheit.
Hand schmiegt sich an Hand im engen Kreise,
und das alte Lied von Gott und Christ
bebt durch Seelen und verkündet leise,
dass die kleinste Welt die größte ist.
Joachim Ringelnatz (1883 - 1934)