In ihrer Afrika-Zeit lebte Miss Rose auch bei einer Müllsammlerin namens Tabaka im Kapstadt. Merkwürdige Geschicke, für deren Erzählung hier nicht der Raum ist, hatten sie in das Armen-Ghetto der Riesenstadt am Südatlantik geführt.
Miss Rose spürte sofort ein Gefühl der Verbundenheit bei ihrer Ankunft in Tabakas Blechhütte. Die alte Katze nahm es stets als ein gutes Zeichen, wenn ihr sofort eine Schale Milch hingestellt wurde. Miss Rose erkannte auch: Tabaka würde nicht mehr allzu lange leben.
Eines Abends saß Tabaka mit ihrer Enkelin am Feuer. Beide trennten alte Kleidungsreste auf und sammelten verwertbare Stoffreste auf einem Haufen zwischen sich. Ein Schneider kaufte Tabaka diese Kleidungsreste ab und verwendete sie als Flicken.
Miss Rose hatte es sich auf dem Stoffhaufen bequem gemacht und lauschte dem Gespräch zwischen Oma und Enkeltochter.
"Weißt du Safira, in jedem von uns Menschen wohnen das Licht und das Dunkel."
Miss Rose spitzte die Ohren. Immer wenn die Zweibeiner auf das Gute und das Böse zu sprechen kamen, wurde es interessant. Vor allem, wenn sich sterbende Geschöpfe dazu äußerten. In Miss Rose blitzte die Erinnerung an den alten Pfarrer in Paris auf. Doch das ist eine andere Geschichte.
Die kleine Safira hielt in der Arbeit inne und blickte geduldig zu ihrer Oma. Schließlich fuhr Tabaka fort: "Das Licht findest du stets dort, wo Gedanken der Liebe, der Freude, der Großzügigkeit oder des Mitgefühls durch deinen Geist wandern."
Tabaka machte wieder eine Pause. Safira blieb die Ruhe in Person.
"Dort wo Gefühle des Zorns, des Hasses, von Niedergeschlagenheit oder von Eifersucht sich ausbreiten", sprach Tabaka weiter, "da ist es dunkel im Menschen."
Nun ahnte Miss Rose, worauf die Alte hinaus wollte. Würde das Mädchen die richtige Frage stellen?
Tatsächlich, nach einem Moment des Nachdenkens fragte Safira: "Wie verhindere ich, dass es in mir allzu dunkel wird, Oma? Muss ich immer gegen das Dunkle ankämpfen?"
Tabaka antwortete: "Nein, mein Kind, indem du möglichst viele Lichter anzündest."
(Auf-)Geschrieben von Peter Bödeker